St. Pauli - und was aus der Reeperbahn geworden ist

St. Pauli oder Hamburg(er) Berg war durch seine Nähe zur Hafenstadt Hamburg prädestiniert für eine schillernde Sozialstruktur.
Früher mussten gesellschaftliche Gruppen, die nicht sozial anerkannt waren und die man in der Stadt nicht haben wollte, vor der Stadt wohnen und sich durchschlagen. Das führte dazu, dass sich viele problematische Gruppen in St. Pauli ansiedelten, die in Hamburg nicht geduldet wurden. Hamburg selbst war als grosse Hafenstadt voller positiver und negativer Einflüsse.
Das Milieu in St. Pauli setzte sich besonders an der und um die Reeperbahn fest, weil diese lange Strasse Hamburg und St. Pauli verband. Ursprünglich wurden die Seile für die Schiffe noch entlang solcher relativ gerader Strassen geflochten und aufgespannt.


WILFRID "FRIEDA" SCHULZ - DER PATE



Im Zweiten Weltkrieg erlebte St. Pauli grosse Zerstörungen und musste wieder aufgebaut werden. Viele Menschen lebten in grosser Armut und versuchten, sich mit dubiosen Geschäften über Wasser zu halten.
In dieser Zeit bildeten sich wieder kriminelle Strukturen. Eine bedeutende Rolle spielte damals Wilfrid Schulz. Schulz hatte als Hafenarbeiter ("Bananenpacker") und Kellner angefangen und konnte sich dann schrittweise hocharbeiten. Dabei kamen ihm seine Boxkünste zu Gute. In den 60er-Jahren konnte er dann ein Machtmonopol aufbauen. Er setzte sich damals gegen Konkurrenz aus Italien und Österreich durch und wurde bald "Der Pate" genannt. Seine zweiten Spitznamen "Frieda" hörte er weniger gerne.
Den Machtkampf gegen die "Loddels" aus Österreich gewann Schulz dadurch, dass er den "Wiener Bären", Arnold Sellner, mit mehreren Messerstichen ins Gesäss "antöten" liess.
Zur Festigung seines Gewaltmonopols baute er eine Art Gerichtshoheit auf. Der Einsatz von Schusswaffen sollte vermieden werden (Ehrencodex "Ohne Waffen).
Als Hauptquartier dienten ihm und seinen Helfern verschiedene Wirtshäuser bzw. Gaststätten in St. Pauli. Später konzentrierte sich Schulz auf das Edelbordell "Café Cherie" am Steindamm in St. Georg.
Wilfrid Schulz konnte gegenüber Gegnern Kiezverbote aussprechen, die diese wirtschaftlich in den Ruin treiben konnten. Schulz verdiente sein Geld mit Gastronomie, Prostitution, Handel mit illegalen Substanzen und Glücksspiel. Die in der damaligen Zeit gehandelten Drogen waren Cannabis und diverse synthetische Drogen (Pervitin, Captagon). Kokain spielte erst ab den 70ern wieder eine grössere Rolle.
Daneben verfügte Schulz mutmasslich über Kontakte ins Ausland, v. a. zur Mafia in den USA, die ihm in den 70er-Jahre Besuche abstattete.
Die Einhaltung des eigenen Codex "ohne Waffen" gelang nicht immer. Schulz und seine rechte Hand Uwe "Dakota-Uwe" Carstens verpassten z. B. dem konkurrierenden persischen Zuhälter und Ringer "Aqua" Schüsse ins Bein. Auch werden Schulz Morddrohungen gegen "Singvögel" angelastet.
Über undichte Stellen bei der Polizei (Verdacht: Kriminaldirektor Hans Zühlsdorf) bekam er Informationen über V-Männer im Milieu ins "Café Cherie", ein Edelbordell geliefert. Diese Informationen soll er ins Milieu weiterverkauft haben. Danach starben anfang der 80er-Jahre einige V-Männer.
Um Schulz und seine rechte Hand Uwe Carstens herum stiegen viele später berühmte Kiezfiguren auf, darunter Ringo Klemm, Stefan Hentschel und Ronald Miehling (als Enforcer).
Die Justiz konnte Schulz nur wegen relativ geringer Straftaten belangen wie z. B. Urkundenfälschung. Anfang der 1980er-Jahre musste Schulz dann wegen Steuerhinterziehung für zweieinhalb Jahre ins Gefängnis. Die Polizei hatte insgesamt immer bessere Mittel zur Überwachung der Luden in der Hand.
Doch da hatte Schulz bereits mit seinem schrittweisen Rückzug aus den Kiezgeschäften begonnen. Jüngere Banden rückten nach und beanspruchten das Feld für sich, obwohl Schulz immer noch stark war.
Das Auftreten der jüngeren Luden war anders: Statt Jacketts liebten sie das Outfit von Paradiesvögeln. In den 80er-Jahren zur Zeit von Miami-Vice-Klamotten und Föhnfrisuren wurde das Prinzip auf die Spitze getrieben.
Hinzu kam noch Schulz' sich verschlechternder Gesundheitszustand: Er hatte Prostatakrebs und konnte das auch durch neuere Mercedes-Modelle nicht mehr kaschieren. Schulz starb Anfang der 90er-Jahre, sein Kollege Dakota Uwe erschoss sich wenige Jahre später aufgrund geschäftlicher und gesundheitlicher Probleme.


GMBH


Harry Voerthmann, Walter "Beatle" Vogeler und Uwe Schwensen; Michael Luchting

Die GMBH auf Hamburg-St. Pauli war eine Zuhälterbande der 70er- und 80er-Jahre. Es handelt sich dabei nicht um eine GmbH im klassisch-juristischen Sinne, sondern um ein Akronym ihrer wichtigsten Mitglieder Gerd (Gerhard Glissmann), Mischa (Michael Luchting), Beatle (Walter Vogeler) und Harry (Harald Voerthmann). Die GMBH verfügte bald über einen gewaltigen Einfluss im Kiez und machte Millionenumsätze. Die GMBH herrschte über ein weitverzweigtes Netz von Beteiligungen. Besonders stark war sie im Grossbordell Eros Center aktiv. Hier gab es auch Zuhälter (z. B. im Bel Ami), die am Rande der GMBH agierten, aber nicht zu ihrer Kernstruktur gehörten.
Gerd Glissmann wurden auch Kontakte zu den Hells Angels nachgesagt.

Die GMBH wurde zu Beginn der 70er-Jahre gegründet und besass ein eigenes Vereinslokal. Sie trat dabei als Grösse neben den Paten Wilfried Schulz, der aber immer noch mächtig war.
In den 70er-Jahren liefen die Geschäfte auf dem Kiez noch recht gut. Durch den Eisernen Vorhang war die Szene quasi geschützt vor allzu grosser ausländischer Konkurrenz. Trotzdem gab es von Anfang an auch Zuhälter aus dem Ausland. Es gab auch noch keine merkliche Trübung durch Wirtschaftskrisen oder die spätere AIDS-Angst. Die GMBH trug ihren Wohlstand offensiv zur Schau und fuhr Luxusautos der Marken Mercedes, Porsche oder im Falle von Michael Luchting auch einen Rolls-Royce.
Angeblich soll sie im Monat bis zu 200.000 DM Umsatz gemacht haben.

Die GMBH erhielt ihre erste bedeutende Konkurrenz durch die Nutella, eine Bande von Jungluden, die in den späten 70er Jahren zu Einfluss gelangten. Ärger gab es aber auch mit der Chikago-Gruppe am Hans-Albers-Platz, zumal Michael Luchting den dortigen Zuhältern Prostituierte abwerben wollte.
1981 wurde Fritz "Chinesen Fritz" Schroer im Lokal "Die Ritze" erschossen. Man vermutet, dass sich sein Partner Peter "Wiener Peter" Nusser, der dem Chikago nahestand, endgültig von ihm trennen wollte. Bis heute konnte das aber nicht bewiesen werden. Es wirkte so, als sei Schroer gezielt in eine Falle gelockt worden. Als Schütze spekulierte man über einen Südländer oder einen Deutschen, der sich südländisch verkleidet hätte, wie z. B. Dietmar "Lackschuh" Traub, der im Anschluss an die Tat Schroers Rolle einnahm.
1982 kam es dann zu einer Schiesserei im Eros-Center, bei dem 2 Männer der Nutella starben und Thomas Born angeschossen wurde. Die Tat ging in die Kiez-Annalen ein.
Kurz darauf starb Michael Luchting, das M der GMBH. Es ist nicht klar, ob er ermordet wurde oder sich dass Leben nahm. Luchting war vorher während eines Gefängnisaufenthaltes in Spanien von seinen GMBH-Kollegen ausgebootet worden und wurde kurz nach seiner Rückkehr nach Deutschland in Hamburg bei einem Hochsitz erhängt aufgefunden. Sowohl Mord als auch Selbstmord sind möglich. Luchting wurde durch die Behandlung im spanischen Gefängnis und den Verrat seiner Kompagnons depressiv, allerdings versuchte er auch, über Statthalter seinen Einfluss auf den Kiez ("Claims") zu wahren, von denen dann einige erschossen wurden. Ausserdem fanden sich in der Nähe des Erhängten in seinem Auto zwei seltsame Bekennerbriefe Luchtings.

Die GMBH hat sich zu Beginn der 80er-Jahre selbst aufgelöst, um entsprechenden Polizeimassnahmen zuvorzukommen. Kriminelle Handlungen können, wenn sie in einer Bande/Vereinigung begangen werden, schwerer bestraft werden. Dabei soll aber nicht der ganze Besitz "verloren" gegangen sein. Angeblich hat Gerd Glissmann einige Anteile an die Hells Angels verkauft. Ich selbst traf ihn vor ein paar Jahren auf einem  Us-Car-Treffen in Hannover,wo er wie er mir erzählte auch noch einen Laden hat.  Beatle verstarb leider 2012 an Zucker .


NUTELLA

                 
Thomas "Karate Tommy" Born                                                                                                                   Klaus "Schöner Klaus/Lamborghini-Klaus" Barkowsky

Die Nutella war eine Bande von Jungluden, die sich in den späten 70er-Jahren als Konkurrenz zur bestehenden GMBH etablierte. Nutella war anfangs als Schimpfwort gedacht, wurde aber bald als Eigenbezeichnung verwendet.
Die Nutella-Bande galt vom Auftreten her als jünger und frischer. Das traf sowohl auf ihre Prostituierten als auch auf ihre amerikanischen Sportwagen zu. Ihre Konkurrenz zur GMBH wurde medial ausgeschlachtet. Beide Gruppen hatten ihr jeweiliges Stammlokal (Hauptquartier) und in Grossdiskotheken Bereiche, in denen sie wie an einem Stammtisch Hof halten konnten. Dabei hatte man sich gegenseitig im Auge.

Die Führungspersonen der Nutella sind nicht alle bekannt. Klar ist aber, dass Klaus "Schöner Klaus/Lamborghini-Klaus" Barkowsky eine grosse Rolle spielte, und neben ihm der Enforcer (Durchsetzer, Abteilung Stress) Thomas "Karate-Tommy" Born.  Ferner gehörten noch Waldemar "Neger-Waldi" Dammer, Siegfried Träger und Ralf "Korvetten-Ralf" Kühne dazu.

Einige Mitglieder der Nutella starben durch Schiessereien oder Herzinfarkt. Zugesetzt haben der Nutella-Bande neben den Kiezstreitigkeiten auch die polizeilichen Ermittlungen der frühen 80er-Jahre. Die Polizei konnte die Nutella noch in relativer Stärke packen, während die GMBH schon im Niedergang war.
Der Schöne Klaus ist heute Künstler. Thomas Born Schauspieler und Sicherheitsberater.


CHIKAGO (HANS-ALBERS-PLATZ-GRUPPE)

                 
Kalle Schwensen                                                                                                                                         Josef Peter "Wiener Peter" Nusser

Das Chikago war die dritte grosse Gruppe aus der Zeit des Kiezkriegs und eine der gefährlichsten.
Die Chikago ist bekannt nach einem "Eis-Café" am Hans-Albers-Platz, das später Chicago geschrieben wurde, dann mehrfach umbenannt wurde und heute Frieda B heisst.
Das Chikago wurde als Musikkneipe nach der Auflösung des durch die Beatles berühmt gewordenen Star Clubs berühmt. Als der Mitbesitzer Gustav "Jonny" Burger 1972 durch einen Autounfall starb, erlangte Reinhard "Ringo" Klemm die Kontrolle über das Chikago. Bis Ende der 70er-Jahre spielte auch noch Janny Gakomiros eine Rolle im Chikago. Klemm hatte gute Beziehungen zu Uwe Carstens, der rechten Hand von Wilfried Schulz.
Unten im Haus wurden Restauration und Musik geboten, oben Prostitution (Chikago II).
Mit dem Chikago werden ausser Klemm viele Männer in Verbindung gebracht: Kalle Schwensen, Uwe Bolm (+ 1987), Hans-Joachim "Joe Marx", Holger Sass, Bernd Wünsch (+ 1987), Gerd Gabriel u. a.
Auch Josef Peter "Wiener Peter" Nusser werden Verbindungen zum Chikago nachgesagt. Nusser hatte v. a. im Palais d'Amour direkt nördlich der Reeperbahn Bordellbeteiligungen.
Er gilt als einer der Auftraggeber des sog. St.-Pauli-Killers Werner Pinzner. Pinzner hatte die Aufgabe, Konkurrenten von aussen wie Abtrünnige in den eigenen Reihen auszuschalten. Über ihn wurde offenbar versucht, Einfluss auf das Rotlichtmilieu in vielen wichtigen Städten (West-)Deutschlands zu erlangen. Bevor man ihn aber selber aus dem Weg räumen konnte, wurde er von der Polizei verhaftet. Dort sagte er zuerst über einige Morde aus, erschoss dann aber 1986 einen Staatsanwalt, seine Frau und sich selbst.
Über weitere Hintermänner Pinzners neben Peter Nusser wird spekuliert.
Mit dem Wechsel zu den 80er-Jahren spielte der Kokainhandel eine immer grössere Rolle in St. Pauli.
Auch dem Hans-Albers-Platz wurde hier ein Engagement nachgesagt. Durch die hohen Gewinnspannen und den durch Kokain leicht eintretenden Kontrollverlust eskalierten die Auseinandersetzungen immer mehr.
Der Hans-Albers-Platz soll dabei Konflikte mit der Nutella und der Gruppe um Stefan Hentschel ausgetragen haben. Seine Haltung gegenüber der GMBH ist unklar.
Eigentlich galt die Reeperbahn als nördliche Einflussgrenze des Chikago, obwohl Peter Nusser im knapp nördlich von ihr liegenden Palais d'Amour seine wichtigsten Bordellbeteiligungen besass. Heute entwickelt Peter Nusser, Apps.

Der Anfang vom Ende


Der Anfang vom Ende St. Pauli`s war der Mord von  Chinesen - Fritz

Stefan Hentschel


Stefan Hentschel + 18.Dez. 2006

Der "göttliche Zuhälter " Stefan Hentschel spielte auch eine grosse Rolle auf dem Kiez. 

Stefan Hentschel gilt als jemand, der sich keiner der bestehenden Banden anschloss. Trotzdem war er nicht ohne Netzwerk. Hentschel wird in der Nähe zur GMBH verortet und arbeitete eng mit dem Geldgeber Axel Gantwurzel zusammen. Ferner hatte er laut Dagobert Lindlau ("Der Lohnkiller") Kontakt zu Gerd Glissmann und Uwe Schwensen, dem Nachfolger von Michael Luchting in der GMBH und Halbbruder von Kalle Schwensen. Hentschel arbeitete auch gerne mit schwarzen Zuhältern wie Waldemar "Neger Waldi" Dammer zusammen (das ist aber nicht der einzige Fall).
Neben anderen Etablissements führte er Regie über den Salon Mademoiselle und das Bel-Ami im Eros Center. Hentschel kam durch sein sportliches Auftreten zunächst gut bei den Frauen an und führte erfolgreich seine Geschäfte. Doch nach einem Streit mit anderen Zuhältern wurde der St.-Pauli-Killer Werner Pinzner auf ihn angesetzt. Durch die lange Flucht vor Pinzner, Betrügereien seiner Kollegen und seinen exorbitanten Lebensstil geriet Hentschel aber allmählich in geschäftliche Schwierigkeiten. Seinem ehemaligen Geschäftspartner Gantwurzel gelang stattdessen mit der Investition in das Edelbordell "Relax" der grosse Wurf (beschrieben auch bei Ronald Miehling im "Schneekönig"). Später erkrankte G. aber schwer.
Hentschel investierte in den 90ern nach seiner Zeit im Eros-Center zunächst in das Etablissement Base, das anfangs gut lief, aber dann von seinem Geschäftspartner zwecks Versicherungsbetrug gesprengt wurde. Dann versuchte er sich im zivilen Geschäftsleben, was aber auf längere Sicht scheiterte. Hentschel leitete eine Zeit lang eine Putzkolonne in einem Altersheim, das dem CDU-Politiker Michael Fuchs gehörte. Am Ende wurde er aber entlassen. Dann versuchte er noch, sich durch Medienprojekte und ein Buch über Wasser zu halten, doch auch das scheiterte. Im Dezember 2006 nahm er sich in der Boxkneipe "Die Ritze" das Leben

Die Kultkneipe " Ritze "

     
die Ritze                                                                                               Hanne Kleine mit Frau Kirsten

Die Ritze ist eine der berühmtesten und berüchtigsten Kneipen auf dem Kiez, das ist St.Pauli Pur. Sie wurde jahrelang von Hanne Kleine geführt, leider verstarb er am 04.11.2011. Heute dient die Ritze nur noch als Puplikumsmagnet für Kiezführungen.

Gemalt wurden diese Beine von Erwin Ross dem "Rubens von der Reeperbahn", der nicht nur so ziemlich jeden alteingesessenen Stripschuppen mit seinen Pin-Ups verziert hat, sondern auch das Schlagzeug der Beatles und Rattles mit deren Namenszug versah. Eine der letzten alten Legenden vom Kiez.

Die Essohäuser



Selbst die Essohäuser gehören nun bald der Vergangenheit an , sie werden  Anfang 2014 samt der Gastronomie und der Tankstelle sowie das Hotel " am Hafen " abgerissen.

Die wirklich schönen und goldenen Zeiten sind leider vorbei